Seit Monaten demonstrieren die Menschen in Eswatini, vormals Swasiland, im Süden Afrikas für demokratische Reformen. Doch der letzte absolute Monarch am Kontinent will nicht freiwillig abtreten.
Schüsse und Tränengas in Eswatinis Hauptstadt Mbabane: Es ist Oktober und die vereinzelten Aufstände der vergangenen Monate haben sich in einen kompromisslosen Massenprotest verwandelt. In den Straßen des Kleinstaats, der im Westen von Südafrika umschlossen ist und im Osten an Mosambik grenzt, sind Tausende zusammengekommen, um Reformen einzufordern: Krankenpfleger*innen demonstrieren gegen Medikamentenengpässe, Schüler*innen für kostenlose Bildung und Busfahrer*innen für höhere Löhne.
Neben dem Frust über individuelle Alltagssorgen haben die Teilnehmer*innen der jüngsten Proteste ein großes, gemeinsames Ziel: mehr Mitsprache in einem Land, in dem König Mswati III., Afrikas letzter absoluter Monarch, alles bestimmt.
Dazu gehört auch die Forderung der Freilassung der beiden Parlamentsabgeordneten Mduduzi Bacede Mabuza und Mthandeni Dube. Diese hatten sich für eine demokratische Öffnung starkgemacht und müssen sich deshalb in einem Prozess verantworten. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ein „Hohn auf die Gerechtigkeit“, da die Politiker ausschließlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt hätten.
Mswati kann das Parlament jederzeit auflösen. Der König ernennt zudem den Regierungschef, der wiederum das Kabinett bestimmt. Die Menschen können zwar Abgeordnete wählen, aber es gibt keine wählbaren politischen Parteien.
Blutige Proteste. Internet und Telefonnetzwerke sind seit einem halben Jahr immer wieder tagelang blockiert. Trotzdem gelingt es den Demonstrant*innen, darunter Hunderte Schüler*innen, gegen den König zu mobilisieren. Im Schatten der subtropischen Wälder, die die Hügeln von Mbabane bedecken, liefern sie sich Verfolgungsjagden mit Mswatis Sicherheitskräften. Diese feuern ruchlos mit scharfer Munition auf die Aufständischen. Mindestens 80 Menschen starben.
„Die Hände des Königs triefen vor Blut. Und er hört nicht auf, weiter auf Menschen schießen zu lassen“, sagt Lucky Lukhele. Er ist Sprecher des Swaziland Solidarity Network (SSN), einer Solidaritätsbewegung in Südafrika, die Bewusstsein für die Menschenrechtssituation im benachbarten Königreich schaffen will.
Nachdem die königliche Polizei Lukhele vorübergehend verhaftet hatte, floh der Regimegegner Mitte der 1990er über die Grenze. „Es gibt aktuell mehr als 700 politische Gefangene in Swasiland“, betont er im Interview mit dem Südwind-Magazin.
Eswatini, den Namen, den das Königreich auf Mswatis Geheiß seit 2018 trägt, benutzt Lukhele selten. Er kritisiert die Willkür, mit welcher der Regent seit 35 Jahren sein Land wie einen Privatbesitz verwaltet.
Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1968 hatte Mswatis Vater, König Sobhuza II., das Mehrparteiensystem abgeschafft. Seitdem zerschlägt die Polizei Proteste unter Anwendung strenger Anti-Terror-Gesetze.
Auch Lukheles Organisation ist in Eswatini als „Terrororganisation“ verbannt. Bereits 2015 warnte der Monarch vor „Leuten, die nichts über unsere Kultur wissen“. Gemeint waren Pro-Demokratie-Aktivist*innen, vor denen er die Monarchie „beschützen“ wolle.
Mswatis Vermögen wird auf 170 Millionen Euro geschätzt. Zudem ist er überzeugter Polygamist. Während der Monarch und seine 15 Ehefrauen in Palästen residieren, müssen für mehr als die Hälfte der Bevölkerung 1,90 US-Dollar täglich ausreichen. Eswatini ist eines der ärmsten Länder der Region. Die Corona-Pandemie hat die wirtschaftliche Lage nochmals verschärft.
Mitsprache für alle! „Wir kämpfen dafür, dass Frauen nicht zurückgelassen werden und dass ihre Sorgen nicht untergehen“, sagt Nokuthula Mamba. Sie ist Generalsekretärin der Organisation Liphimbo Labomake (übersetzt: Frauenstimme) und setzt sich seit Jahren für Frauenrechte ein. Ein Problem ist die Abwesenheit von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsämtern. Eswatini bleibe eine „patriarchalische Gesellschaft“, so Mamba.
Jetzt steckt das Land in einer politischen Sackgasse, die Fronten sind verhärtet: Weder der König noch die Demokratieaktivist*innen gehen auf die Gegenseite zu.
Laut Frauenrechtsaktivistin Mamba könne nur ein nationaler Dialog heraushelfen. Das sieht Zweli Martin Dlamini genauso. Er ist Herausgeber der unabhängigen Zeitung Swaziland News, deren Redakteur*innen von Johannesburg aus arbeiten. Zum vorläufigen Höhepunkt der Proteste im Herbst wandte er sich in einem offenen Brief an UN-Generalsekretär António Guterres mit der Bitte um Hilfe der internationalen Gemeinschaft.
„Das Volk kann ohne den König, aber der König nicht ohne sein Volk“, bemerkt Lukhele von der Solidaritätsbewegung SSN zynisch. Nur deshalb habe Mswati auf Druck des Nachbarlandes Südafrika hin eingewilligt, Gespräche mit Aktivist*innen zu suchen.
Eswatini ist wirtschaftlich von seinem großen Nachbarn abhängig, gleichzeitig ist Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa der Vorsitzende für Verteidigung, Politik und Sicherheitskooperation der Staatengemeinschaft SADC.
Mswati will die Forderungen im Frühjahr 2022 beim sogenannten Sibaya besprechen, einem traditionellen Forum, bei dem sich der König mit seinen Untertan*innen austauscht.
Was zu neuer Kritik führt. Lukhele: „Echter politischer Dialog ist mehr als eine dreitägige Veranstaltung in der brennenden Sonne, wo wir auf Kuhfladen sitzen und von den königlichen Gesandten kleingehalten werden.“
Eswatini
Hauptstadt: Mbabane
Fläche: 17.363 km² (Österreich: 83.880 km²)
Einwohner*innen: 1,16 Millionen
Human Development Index (HDI): Rang 138 von 189 (Österreich 18)
BIP pro Kopf: 3.415,5 US-Dollar (2020, Österreich: 48.327,6 US-Dollar)
Gini-Koeffizient (Einkommensungleichheit): 54,6 (2016, Österreich: 30,8)
Regierungssystem: absolute Monarchie, Mswati III. ist seit 1986 König von Eswatini (bis 2018 offiziell Swasiland). Er ist der einzige absolutistisch regierende Herrscher in Afrika.
Umkämpfte Zukunft. Kann es überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft der beiden Lager geben? Steven Gruzd, Politologe am Südafrikanischen Institut für Internationale Angelegenheiten (SAIIA), ist skeptisch: „Es würde bedeuten, dass ein absoluter Monarch wesentliche Macht abgeben müsste. Die Geschichte hat gezeigt, dass dieser Übergang nur selten reibungslos verläuft.“
Im 300 Kilometer entfernten Königreich Lesotho wird der Ministerpräsident vom Volk gewählt. Wäre eine konstitutionelle Monarchie ein Modell auch für Eswatini? Der König denke nicht daran, so Gruzd. Er sei Traditionalist durch und durch.
Die bisherige Antwort Südafrikas auf die Krise im Nachbarland, ein Gespräch zwischen Präsident Ramaphosa und Mswati, bewertet Gruzd als halbherzig.
Weitere Proteste würden die Position des Königs laut dem Politologen schwächen und ihn „zwingen, Zugeständnisse zu machen“.
Die verbotene Oppositionspartei Pudemo, kurz für People’s United Democratic Movement, bleibt jedenfalls kämpferisch. Laut ihrem Anführer, Mlungisi Makhanya, seien die Bürger*innen von Eswatini weiterhin „standhaft“ angesichts des „Terrors, den König Mswati auf sein Volk losgelassen hat“. Sie eint ein gemeinsames Ziel: Demokratie.
Markus Schönherr ist freier Journalist in Pretoria und berichtet für deutschsprachige Medien aus dem südlichen Afrika.
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